Hochwasser-Lage in Griechenland weiterhin angespannt - mindestens sechs Todesopfer
In den Städten Volos und Larisa war die Situation katastrophal. In Larisa waren nach den tagelangen Regenfällen rund 80 Menschen über 24 Stunden ohne Nahrung und Trinkwasser von den Fluten umzingelt, wie die Zeitung "To Proto Thema" berichtete. Schließlich sei ein Anwohner mit einem Traktor samt Anhänger gekommen und habe die Menschen in Sicherheit gebracht.
In der Hafenstadt Volos mit rund 150.000 Einwohnern hatten die starken Regenfälle unzählige Tonnen Matsch in die Straßen gespült. Autoverkehr blieb bis auf weiteres verboten, um den Rettungskräften den Weg frei zu halten und weil Straßen überschwemmt oder weggespült waren. Strom- und Wasserversorgung waren bis zum Donnerstagabend noch nicht wieder hergestellt. Derweil gingen in den Supermärkten die Trinkwasser-Vorräte zur Neige. Bilder zeigten Schlangen von Menschen, die inmitten der Überschwemmung für ein paar Flaschen Wasser anstanden. Auch bei der Lebensmittelversorgung gebe es zunehmend Probleme, berichtete die Tageszeitung "Kathimerini".
Während der Rest Griechenlands - und auch der Tourismus dort - kaum betroffen sind, sollen in der Ferienregion Pilion in Thessalien rund 500 Urlaubsfamilien vom Wasser eingeschlossen sein. Das sagte der stellvertretende Bürgermeister von Süd-Pilion, Dimitris Parrisiadis, der "Kathimerini". Die Zerstörung sei riesig und die meisten Dörfer noch vom Wasser abgeschnitten. "Ich schätze, dass sich im Süden von Pilio noch rund 500 Familien griechischer und ausländischer Touristen aufhalten und nicht wegkönnen."
"Thessaliens Flachland ist ein riesiger See", sagte Feuerwehrsprecher Giannis Artopoios dem Sender ERTnews am Donnerstagmittag. Vielerorts stehe das Wasser höher als zwei Meter. Mittlerweile sei auch das Militär mit Schlauchbooten im Einsatz. In der gesamten Region Thessalien leben rund 700.000 Menschen - so gut wie alle seien von der Flut betroffen. "Wir hatten binnen 36 Stunden gut 5000 Notrufe, so etwas gab es noch nie", sagte Artopoios. Er bat die Menschen, weiterhin anzurufen - jene, die nicht unmittelbar gefährdet seien, rief er jedoch zu Geduld auf.
Am Dienstagabend war die wichtigste Autobahn des Landes zwischen Athen und Thessaloniki von Wassermassen entzweit worden und auf einer Strecke von 200 Kilometern gesperrt. Feuerwehrsprecher Vasilis Vathrakogiannis teilte am Donnerstag mit, an den Einsätzen seien Spezialisten für Wasserrettung und Taucher der Katastrophenschutzeinheiten sowie Soldaten beteiligt. Sie versuchten derzeit noch, trotz der weggespülten Straßen entlegene Gebiete zu erreichen.
Zur Zahl der Vermissten gab es keine Angaben von Feuerwehr und Polizei. Dies sei nicht möglich, weil man noch gar nicht zu den eingeschlossenen Ortschaften vorgedrungen sei, hieß es. Da die Menschen dort ohne Strom und mittlerweile auch ohne Handy-Akku ausharren und nicht mit der Außenwelt kommunizieren können, ist nicht bekannt, wer vermisst wird. Zwar regnete und stürmte es am Donnerstag in der betroffenen Region weiterhin stark und die Pegel stiegen immer höher, insgesamt aber geben die Meteorologen vorsichtig Entwarnung: Bis zum Donnerstagabend sollen die Regenfälle aufhören.
Dann dürften die gewaltigen Schäden erstmals komplett sichtbar werden, die die schweren Unwetter verursacht haben. Die Bürgermeister der betroffenen Gegenden sprachen gegenüber griechischen Medien von eingebrochenen Straßen und Brücken, von gekappten Stromverbindungen, aber auch zerstörten Häusern und Unternehmen. Die Schäden dürften in die Milliarden gehen.
In der Stadt Karditsa reichte das Wasser vielerorts bis zu den Dächern der Häuser, so dass sich die Bewohner auf die Dächer retten mussten. "Das Wasser ist an manchen Stellen bis zu vier Meter hoch", sagte der Bewohner eines nahe gelegenen Ortes dem Sender Mega. Ihr Dorf sei unzugänglich, die ganze Ebene überflutet, Rettungskräfte könnten nicht kommen. "Vielleicht mit Hubschraubern, aber wo sollen sie landen? Es gibt kein Land!", sagte ein Mann. Der Einsatz aus der Luft sei wegen der schwierigen Wetterbedingungen und Sturmböen derzeit nicht möglich, sagte jedoch Feuerwehrsprecher Artopoios.
Angesichts der dramatischen Lage in den von Unwettern heimgesuchten Regionen Mittelgriechenlands hat Regierungschef Kyriakos Mitsotakis den Einsatz von Militär angeordnet. Unter den Einheiten wird auch eine Brigade von Marineinfanteristen sein, die nahe der völlig verschlammten Hafenstadt Volos stationiert ist. Wie Regierungssprecher Pavlos Marinakis am Donnerstag mitteilte, wird Mitsotakis die Katastrophenregion von Thessalien am Wochenende besuchen, um sich ein Bild der Lage zu machen.
In Larisa, der Hauptstadt der Region Thessalien, wurde ein Krisenstab eingerichtet. Priorität hat nach den Worten des Regierungssprechers die Rettung von Menschen in der fast vollständig überschwemmten Region. Nachdem - wie die Meteorologen erwarten - die schweren Regenfälle am Donnerstagabend nachlassen, sollen dann die Reparaturen der Infrastruktur beginnen. Eine Bilanz der Schäden könne jedoch in dieser Phase nicht gezogen werden, fügte der Sprecher hinzu. Der Staat wolle jedoch allen Bürgern, die ihr Hab und Gut verloren haben, unter die Arme greifen.
Verteidigungsminister Nikos Dendias brach eine Reise nach Dubai ab und kehrte nach Griechenland zurück, um die Einsätze der Streitkräfte zu beaufsichtigen, wie er auf der Plattform X, dem früheren Twitter, mitteilte. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis verschob seine geplante Rede zur Lage der Wirtschaft und eine für das Wochenende geplante Pressekonferenz in Thessaloniki, um stattdessen die Hochwassergebiete zu besuchen.
Angesichts der heftigen Unwetter im Südosten Europas forderte die EU-Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley laut einem Medienbericht EU-Hilfen für die betroffenen Länder. Wie bereits bei früheren Naturkatastrophen in anderen Mitgliedstaaten sollte der EU-Solidaritätsfonds für den Wiederaufbau in Anspruch genommen werden, wie die SPD-Politikerin sagte. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass es sich nur um gewöhnliche Wetterphänomene handele.
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber verlangte mehr Geld für den europäischen Katastrophenschutz. "Die sich ändernden Wetterbedingungen fordern alle unsere Länder heraus, mehr in die Klimaanpassung und unsere Notfalldienste zu investieren", sagte der EVP-Chef. "So wie die EU Deutschland nach den Überschwemmungen im Jahr 2021 mit mehr als 600 Millionen Euro unterstützt hat, wird sie jedes Land unterstützen, das Opfer von extremen Wetterbedingungen ist."
Die schweren Unwetter kosteten in Griechenland, Bulgarien und der Türkei nach Angaben der Behörden mindestens 14 Menschen das Leben. In der Türkei kostete so eine Sturzflut auf einem Campingplatz im Nordwesten des Landes, nahe der bulgarischen Grenze, mindestens fünf Menschen das Leben, als unter anderem Ferienbungalows von den Wassermassen mitgerissen wurden. Drei weitere Leichen wurden dort am Mittwoch gefunden. Die Rettungskräfte suchten nach einer Person, die vermisst gemeldet wurde.
Zwei weitere Menschen starben in der größten türkischen Stadt Istanbul, wo die Stürme am Dienstag zu Überschwemmungen in mehreren Vierteln führten. Ein 32-Jähriger wurde in seiner Erdgeschosswohnung in Kücükcekmece von dem Wasser überrascht und ertrank, wie der Fernsehsender Habertürk berichtete. Eine 57-Jährige wurde in einem anderen Teil Istanbuls vom Wasser mitgerissen und kam zu Tode, wie die Nachrichtenagentur DHA berichtete. Von Hochwasser in Istanbul betroffen waren nach Angaben des Gouverneursbüros mehr als 1750 Haushalte und Geschäftsbetriebe.
In Bulgarien sorgte ein Sturm an der südlichen Schwarzmeerküste für Überschwemmungen. Zwei Leichen wurden am Mittwoch aus dem Meer geborgen. Die Gesamtzahl der Toten in dem Land stieg damit auf mindestens vier. Videoaufnahmen zeigten, wie Autos und Wohnmobile im südlichen Urlaubsort Tsarevo ins Meer geschwemmt wurden. Dort verhängten die Behörden einen Ausnahmezustand. Die meisten Flüsse in der Region traten über die Ufer und mehrere Brücken wurden zerstört, was große Verkehrsprobleme zur Folge hatte.
Der Klimawandel erhöht Experten zufolge die Wahrscheinlichkeit starker Stürme und Unwetter. 2023 beschert Europa so einen Sommer der Extreme, der Warnungen von Klimaforschern bestätigte. Starkregen sind so an vielen Orten der Welt häufiger und intensiver geworden. Bei Überschwemmungen spielen zudem auch andere menschliche Faktoren eine Rolle.
ag/bnm